Der Reiz des Piz Badile, Al Masino, Al Masino, Italiens kleine Ausführung des Yosemite Tals

Das Val Masino, im südlichen Teil des Bergells, wartet mit einer Vielzahl an granitenen Felswänden und Bergkämmen auf, die dem Yosemite Tal ebenbürtig sind. Hier befindet sich die Nordwand des Piz Badile mit ihrer berühmten Cassin Route, welche Wagemut und eine verblüffende Intelligenz in sich vereint. Bravissimo Maestro.

TEXTE & FOTOS : Guillaume Vallot

San Martino, das Portal zum Masino Tal. Sonntagmorgen, 6 Uhr, die Kirchenglocken läuten in voller Stärke. Sébastien Foissac, unser Guide springt aus dem Bett, seinen goldenen Eispickel in der Hand. „Ist der Krieg ausgebrochen“? Wir brechen in schallendes Gelächter aus. Hier im katholischen Italien ist das Angelusläuten eine ernste Sache! Auf der Aufwärmroute, Océan Irrationnel an der Felswand Précipice des Astéroïdes steckt uns das mörderische Erwachen vom Morgen noch deutlich in den Knochen. Am folgenden Tag – Halleluja – schweigen die Glocken aufgrund einer Panne. Dieses Wunder kommt uns höchst gelegen, bleibt so noch etwas Erholung, bevor wir die „schreckliche“ Nordwand des Badile in Angriff nehmen. Unser Guide befürchtet einen starken Andrang an Kletterern. „Bricater“ wird dieses Phänomen im Jargon der Südländer genannt, was so viel heissen will wie: „treten an Ort“, das Syndrom der langsamen Seilschaften also. Er wird uns daher beibringen, wie man solche „mit Höflichkeit und Eleganz“ überholt. Am dritten Morgen um 5.30 Uhr erneut eine Kakophonie: Nun läuten sämtliche Glocken zur gleichen Zeit…Nachdem sie die Glocken gestern repariert haben, müssen nun heute alle getestet werden!

Eine legendäre Felswand
Die Nordostwand des Piz Badile hat einen dunklen Ruf. Sie wurde 1937 erstmals erfolgreich von Ricardo Cassin begangen, der dabei allerdings zwei Kollegen verlor. Doch es sollte einen grossen Kletterer brauchen, der daraus eine Legende schuf, so geschehen zwölf Jahre später durch Gaston Rébuffat, der sie als eine der fünf schwierigsten Nordwände der Alpen einstufte. Seither haben die Klimaerwärmung, spezielle Kletterschuhe und Spits die Felswand einfacher gemacht. Die 800 Meter aus hartem Granit und der Ausstieg auf 3'308 Metern stellen bei schönem Wetter kaum Probleme dar für eine trainierte Seilschaft. Bei schlechtem Wetter sieht die Sache allerdings ganz anders aus. Die Trichterform der Wand und die Kaminreihe kurz vor dem Ausstieg verleiten nicht zu Hurragebrüll, wenn ein Gewitter hereinbricht und die ganze Sache glitschig werden lässt!

In der Sasc Füra Hütte
Nach einem feuchtfröhlichen Essen zu Ehren von Ricardo Cassin, hat unsere Seilschaft Lust auf den Piz Badile. Doch zuerst ist es an der Zeit, sich im noch leeren Schlafsaal einzurichten. Wir fühlen uns sehr wohl. Zwei ausländische Kletterer kommen herein und scheinen ziemlich wütend zu sein. Schlafen wir etwa auf den Plätzen, die sie reserviert haben? Ohne Vorwarnung stürmen sie wieder hinaus und melden diesen „Skandal“ dem Hüttenwart. Zeit für uns, schnell unser Lager zu räumen und uns anderswo niederzulassen, wo wir uns schlafend stellen. Bei ihrer Rückkehr mit dem Hüttenwart schaut dieser sie nur an und sagt: „Wollt Ihr mich auf den Arm nehmen! Auf Euren Plätzen ist niemand“. Was wollen Sie, in den Bergen gibt es eben nichts zu spassen.

Horror!
An diesem Morgen herrscht ein Andrang wie auf der Autobahn nach Süden. Eine Ansammlung an angehenden Bergführern hat sich am Fusse der Wand versammelt, und eine von sechs Seilschaften klettert bereits. Jetzt heisst es, entweder stundenlang bei jeder Länge zu warten oder zu überholen, wir entscheiden uns für Letzteres …“mit Eleganz“. Sébastien setzt unter den aufmerksamen Augen aller zur ersten Länge an und geht am Sicherungsseil voran. Ich touchiere mit dem Fuss den Helm eines der Bergführer Aspiranten, was zugegeben nicht ganz so elegant ist und werde dafür von einem Wortschwall zugedeckt, den ich vorgebe, nicht zu verstehen. Weiter oben verliert sich die Wand im voranschreitenden Morgen. Unsere Seilschaft legt die ersten zehn Längen wie an einer Perlenschnur aufgereiht zurück.
Doch in der Folge heisst es bei den Längen zwölf, dreizehn und vierzehn alles zu geben. Es ist ein grosser Kampf mit dem Element, der Rucksack zu schwer und von der Schwerkraft nach hinten gezogen. Wir stellen uns dabei die Kletterer aus längst vergangenen Zeiten vor, wie sie mit ihrer schweren Ausrüstung Stunden über Stunden brauchten, um vorwärts zu kommen. Ein bisschen Bescheidenheit ist nie schlecht, um die eigene Angst und die Versuchung sich zu beklagen, zu unterdrücken: es hat praktisch kein Eis.

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