Monts Rouges du Triolet
Dalmazzi, Das Gesetz des Schweigens

Auch zehn Jahre nach dessen Entdeckung im Jahr 1997, ist das Klettergebiet rund um die Monts Rouges du Triolet ein Geheimtipp geblieben. Direkt oberhalb der Dalmazzi Hütte gelegen, bietet das Gebiet eine seltene Auswahl an langen, gut ausgerüsteten Routen auf perfektem Granit. Doch Pst! Sagen Sie es nicht zu laut, man könnte Sie hören.

Text und Fotos : Guillaume Vallot

Wie ist es möglich, dass ein ganzes Teilstück des weltweit meist frequentierten Massivs bis in die 1990er Jahre komplett unberührt geblieben ist? Das ist wohl auch die Frage, die sich eine Gruppe von Kletterern gestellt haben muss, welche 1993 die unberührte Talsohle auf der Südseite des Triolet entdeckt hatte. Dieses Becken aus perfektem Granit liegt im Val Ferret unmittelbar nach dem Mont-Blanc Tunnel.
Das „Geheimnis um Dalmazzi“ lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass auf fünf Seilbahnen auf der französischen Seite nicht eine einzige auf der italienischen Seite des Mont-Blanc kommt. Darüber hinaus beherbergen die Monts Rouges du Triolet ein reiches Vorkommen an wertvollen Kristallen, was die Gegend noch geheimnisvoller erscheinen lässt. Im Jahr 1981 schliesslich, wurde durch ein örtliches Gesetz der Mineralienabbau im Oberen Aostatal vollständig untersagt. Diese „Omertà“ wird noch augenscheinlicher, bedenkt man, dass die Monts Rouges du Triolet und deren wunderschöne Felswände in keinem der gängigen französischen topographischen Führer vorkommen. Man findet nichts über sie im 1973 erschienenen Buch „ Les 100 Plus Belles Courses“ von Rébuffat und nur gerade das strikte Minimum im „Guide Vallot“, Erscheinungsjahr 1987. Auch das umfangreiche Werk „Neige Glace et Mixte“ von Damilano und Perroux ignoriert sie vollständig...

Die geschlossene Faust über den Schätzen
Nehmen Sie eine topographische Karte mit Massstab 1:25'000, legen Sie Ihre rechte Hand über den Triolet Gletscher, den Handrücken nach oben. Die Finger zeigen dabei nach Nordwesten. Nun machen Sie eine Faust. Der Daumen liegt jetzt exakt auf der Aiguille du Triolet, und der lange Bergkamm der Monts Rouges führt haargenau Ihrem Handgelenk entlang. Im Norden zeichnen die Pointe Isabella, die Aiguilles de Savoie und Talèfre die Form des Zeigefingers nach, Mittel- und Ringfinger sind gebeugt. Der Cirque du Triolet sieht also einer geschlossenen Faust täuschend ähnlich! Der Ort ist nicht besonders entlegen und auch nicht schwierig zu erreichen. Zwischen Courmayeur und dem Mont-Blanc Tunnel muss man lediglich dem Val Ferret bis zu dessen Ende folgen. Hier beginnt die Val Ferret Passstrasse, welche auf der Schweizer Seite des Tals übrigens in die A9, bei La Fouly einmündet. Der Fussmarsch zur Dalmazzi Hütte führt entlang der Moräne des Triolet Gletschers. Nach nur gerade einmal 40 Minuten erreicht man auf diesem Weg die erste Kletterroute!

Die Unbezwingbaren
Im Unterschied zur französischen Seite, kann die italienische nur mit einer ziemlich bescheidenen Liste an Besteigungen aufwarten. Denn der Hauptgipfel des Cirque du Triolet wurde ohne Ausnahme von der anderen Seit her erobert. Die erste Besteigung geht auf den August 1913 zurück. Paul Preuss eroberte im Alleingang den Mittelfinger der geschlossenen Faust - den makellosen Südostgrat der Aiguille de Savoie. Gegen Ende der 1930er Jahre dann, erkletterten die grossen Helden des Alpinismus die letzten noch unbestiegenen Nordwände. 1937 eroberte Boccalate die Greuvetta, gemäss Michel Piola „eine der höchsten und am wenigst bekannten Nordwände des Massivs“. 1939 eröffneten Cassin und Tizzoni eine Route auf die Aiguille de Leschaux. Was den roten, drei Kilometer langen Granitgrat angeht, so hat dieser während Jahrzehnten nur Kristallsucher angezogen. In seinem 1993 erschienenen topographischen Führer verwendet Michel Piola einige schüchtern eingeworfene Adjektive: Zugang „nicht so schlimm“, „erstaunliche“ Entdeckung, „schöner Fels“…Doch nichts lässt zu diesem Zeitpunkt den veritablen „Donnerschlag“ erahnen, den just noch in eben jenem Jahr eine Seilschaft in diesem so selten schönen Granit erleben sollte. Ihr Erlebnis – im wahrsten Sinn des Wortes „Liebe auf den ersten Blick“! Die talentierten Schweizer Romain Vogler und Michel Piola, der Franzose Patrick Gabarroux und insbesondere der unermüdliche Geometer Manlio Motto hatten nämlich beschlossen, die Monts Rouges du Triolet zu entdecken…und diese Entdeckung geheim zu halten! So werden in vier Jahren mehr als 50 Routen eröffnet und ausgerüstet…in totalem Stillschweigen, versteht sich. Gegen Ende 1996 geht in Chamonix und in Courmayeur das Gerücht um, dass sich dort oben etwas tut, und Anfang 1997 gibt das kleine Team dem Magazin Vertical schliesslich seine Informationen preis.
Die Routen erstrecken sich bis zu 20 Seillängen und reichen von den Schwierigkeitsgraden 4 bis 7. Der Zugang zu den Felsen kann je nach Lage innerhalb von 5 Minuten mit Kletterschuhen oder bis zu 2 Stunden mit Steigeisen betragen. Schwierig, das Angebot noch abwechslungsreicher und vielfältiger zu gestalten! Nebst ausserordentlich anspruchsvollen Routen gibt es auch einige Juwelen, die einen Schwierigkeitsgrad von maximal 5c/6a betragen. Ein absolutes Muss sind die beiden langen Routen „Chamois Volant“ und „Kermesse Folk“, von welchen Sie zumindest eine gemacht haben sollten. Diese bestechen durch je 750 Meter Kletterstrecke, 19 Seillängen mit Schwierigkeitsgraden zwischen 4a und 5c. Ein weiterer Höhepunkt ist die „Profumo Proibito“, ein 270 Meter hoher roter Felspfeiler, der den Schwierigkeitsgrad 6a jedoch nie übersteigt. Diese drei Einsteigerrouten sind einen Besuch in jeder Hinsicht wert und werden Sie bestimmt auf den Geschmack bringen, in diesen entlegenen Winkel der Alpen zurück zu kehren.

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