Doug Scott
Ein Engländer im Himalaya Massiv

Seine Erstdurchsteigung der Südwestwand des Everest im Jahr 1975 brachte ihm die Auszeichnung „Commander of the Order of the British Empire“ (CBE) ein. Doug Scott, der erste Engländer, welcher erfolgreich das Dach der Welt bestieg, ist ein Symbol für den modernen Alpinismus. Seine erfolgreiche Karriere umfasst mehr als 30 Expeditionen. Heute widmet er einen Grossteil seiner Zeit den im Himalaya Massiv lebenden Völkern.

Das Interview führte Vincent Gillioz

Anlässlich seines mehrtägigen Aufenthaltes in Leysin, hat der 67-jährige Doug Scott, der als erster Engländer den Everest bestiegen hatte, Mountain Report ein Exklusivinterview gewährt. Scott ist eine der herausragendsten Persönlichkeiten des modernen Alpinismus und ein Vorreiter des Alpinstils im Himalaya. Er ist überdies ein vehementer Verfechter für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Sherpas. Doug Scott spricht lieber über die Ethik des Bergsportes und über die Entwicklung des Alpinismus als über seine eigene Karriere. Dieser Spezialist der Big Wall nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, über das Klettern oder die Vorausrüstungen an den Kletterfelsen zu sprechen. Doug Scott, der ein Symbol für den modernen Alpinismus ist, besticht durch seine Bescheidenheit und seinen typisch trockenen englischen Humor.

Doug Scott, wie denken Sie aufgrund Ihrer breiten Erfahrung von mehr als dreissig Expeditionen über die heutige Entwicklung des Bergsteigens im Himalaya?
Wenn Sie wissen wollen, wie ich über die kommerziellen Expeditionsanbieter denke, die in ihren Katalogen alle Achttausender anbieten, dann fällt die Antwort ganz klar aus. Alle diese Besteigungen folgen nach demselben Muster, sie sind so aufgebaut, dass Sie selbst keinerlei Entscheide mehr treffen müssen, was die Touren für eine spezielle Kundschaft attraktiv und interessant macht. Man sagt Ihnen, wann sie zu marschieren haben, wann und wo geschlafen wird und wann Zeit fürs Essen ist. Man nimmt sich Ihrer vollständig an und bestimmt jede Ihrer Handlungen. Alles, was Sie noch selbst machen müssen, ist, sich am Fixseil einzuhaken, um sich vor allfälligen Risiken zu schützen. Dann folgen Sie nur noch in der bereits gelegten Spur der Sherpas. Von Zeit zu Zeit bittet man Sie, eine Tasse Tee entgegen zu nehmen, die man für Sie zubereitet hat. Es mag sein, dass diese Art von Projekten für einige Menschen befriedigend ist, mich jedenfalls interessieren sie rein gar nicht. Meiner Ansicht nach liegt der Wert des echten Alpinismus ganz woanders - nämlich im Treffen von Entscheidungen, dieser Prozess ist von fundamentaler Bedeutung. Bergsteigen bedeutet, Situationen einzuschätzen und dann zu handeln, das alles existiert innerhalb einer kommerziellen Expedition nicht.

Ist es also dieser Entscheidungsprozess, den Sie am Bergsport am meisten schätzen?
Absolut! Wissen Sie, unsere Art des modernen Lebens hat uns der natürlichen Beziehung zur uns umgebenden Natur beraubt. Keine Ihrer Entscheidungen, die Sie Tag für Tag treffen, hat eine direkte Auswirkung auf Ihr Überleben, wie dies der Fall war für die Menschen, die vor einigen Tausend Jahren gelebt haben. In diesem Zusammenhang könnte der Alpinismus eine Art Rückkehr zu den Ursprüngen sein. Denn er verlangt von einem, Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen. Er konfrontiert Sie wieder mit den Werten unserer längst verstorbenen Vorfahren. Zu jener Zeit als ich mit dem Klettern in den Alpen angefangen hatte, stand für die Kletterer nicht das „Trophäen-Sammeln“ von Gipfeln im Vordergrund. Vielmehr waren wir daran interessiert, neue Routen zu eröffnen. Ich finde diesen Ansatz auch heute noch richtig. Die Bedeutung lag nicht in der Geschwindigkeit oder der Anzahl sondern darin, der Erste zu sein. Ich finde es faszinierend, etwas Neues zu entdecken, eine Route zu eröffnen, die zuvor noch kein Mensch gegangen ist. Den Berg zu befragen, nachzudenken. Heute gibt es dafür in den Alpen praktisch keine Möglichkeiten mehr. Aus diesem Grund ist das Himalaya Massiv so interessant. Fernab der Achttausender gibt es hier noch soviel zu entdecken.

Wie stehen Sie zur Verwendung von Sauerstoff bei Himalaya Expeditionen?
Ich habe nichts gegen die Verwendung von Sauerstoff, ich habe selbst auch einige Male darauf zurückgegriffen. Doch als wir gemeinsam mit Dougal Haston dazu gezwungen waren, 1975 unter dem Gipfel des Everest zu biwakieren, hatten wir just keines zur Verfügung. Wir verbrachten neun lange Stunden bei einem Sturm auf einer Höhe von 8'760 Metern zu, geschützt in einem Schneeloch und haben überlebt. Durch solche Erlebnisse lernt man, dass es auch ohne Sauerstoff geht. Ich brauchte diese Erfahrung, um später darauf zu verzichten. Doch jeder muss seinen eigenen Weg gehen und seine Grenzen kennen lernen.

Wie gehen Sie mit der Angst um, wenn Sie in den Bergen sind?
Ich komme aus Nottingham, das Gefühl der Angst ist mir daher fremd!!! (lacht). Doch nun Scherz beiseite. Es ist in der Tat so, dass ich eine gewisse Anspannung empfinde, bevor ich zu einer Tour aufbreche. Dies ist aber mehr ein Gefühl als tatsächliche Angst. Wirkliche Angst habe ich während einer Besteigung nie verspürt, man ist zu beschäftigt mit dem Klettern. Selbst während eines Steinschlags oder dem Niedergang einer Lawine habe ich nie solche Empfindungen gehabt. Zuweilen, in äusserst kritischen Momenten, habe ich mich auf mich selbst zurück besonnen, habe an meine Familie gedacht, jedoch stets ohne Wehmut. Ich bin der Ansicht, je häufiger man gefährliche Situationen durchlebt und dem Tod nur knapp entgeht, umso besser lernt man auch mit anderen kritischen Momenten umzugehen. Ich bin einmal von einer Lawine erfasst worden und dachte ernsthaft, dass ich sterben würde. Ich habe das als Tatsache akzeptiert und mich gefragt, wie das wohl sein wird, war dabei jedoch ohne Angst!

Sie haben eine ganz klare Haltung, was das Bestücken von Felswänden mit Spits angeht, können Sie uns mehr darüber sagen?
Sehr gerne! Nehmen wir zum Beispiel die Schweiz, weil wir gerade hier sind. Ich kann Ihnen sagen, in diesem Land gibt es keine einzige Felswand mehr, die nicht mit Spits bestückt ist. Die Bergwelt wurde in eine Art künstliche Kletterwand verwandelt, das ist meine Ansicht. Für mich hat dieses Vorgehen stark mit der Frage zu tun, wie sich der Alpinismus entwickelt. Begehen Sie eine bereits präparierte Route und selbst wenn diese noch so schwierig sein sollte, sagen Sie mir ehrlich: was gibt es da noch zu entdecken? Ich meine, aus ethischen Gründen sollte man auf das Vorausrüsten mit Spits verzichten. Das hat zu einer Art Überfrequentierung und damit Umweltverschmutzung der Bergwelt geführt. Doch das diesbezügliche Denken unterscheidet sich stark zwischen den Angelsachsen und der übrigen Welt. In England gibt es noch zahlreiche Felsen, wo Sie gezwungen sind, ihre eigenen Haken und Klemmkeile zu setzen. Ich finde das richtig und bin eindeutig ein Verfechter dieser Vorgehensweise.

Heute engagieren Sie sich zu 100% für Ihre Stiftung Community Action Nepal (CAN). Was sind die Ziele dieser Organisation?
Ungefähr um das Jahr 1990 herum habe ich angefangen, mich für die Lebensbedingungen der Sherpas zu interessieren. Die Trekkingindustrie hat sich im Himalaya Massiv seit den 1980er Jahren rasant entwickelt, leider jedoch nicht ausschliesslich zum Nutzen der Nepalesen. Mein Beruf als Bergsteiger hat mich dazu motiviert, mich für die Bewohner dieses so ausserordentlich armen Landes zu engagieren. Ein Teil unserer Arbeit besteht darin, mittels minimalem Versicherungsschutz und Sozialdeckung, akzeptable Arbeitsbedingungen für die Sherpas und Träger zu schaffen, wenn diese an einer Expedition teilnehmen. Über unsere Reiseagentur Community Action Treks bieten wir Touristen ein Aufenthaltspaket an, welches im Einklang mit unseren ethischen Prinzipien steht. Doch diese Reiseagentur ist nur ein kleiner Teil unseres Aufgabengebietes. Das Hauptziel von CAN ist, sicherzustellen, dass die ländlichen Gemeinden Nepals ihr Leben so weiter führen können wie bisher. Wir arbeiten daran, dass die jungen Leute nicht gezwungen sind, ihre Heimatdörfer zu verlassen, um eine Zukunft zu haben. Wir haben Strukturen aufgebaut mittels derer wir sicherstellen können, dass die Kinder in ihrem Land bleiben und im Einklang mit ihren Gemeinschaften leben können, ohne gezwungen zu sein, in Richtung Mittlerer Osten auszuwandern. Ich möchte verhindern, dass der Traum eines jeden Nepalesen darin besteht, nach Nordamerika oder anderswo auszuwandern. Unsere Organisation möchte die nepalesische Kultur erhalten. So bauen wir Häuser und Unterkünfte für die Sherpas, deren Hütten aufgrund des ungenügenden technischen Materials oft den meteorologischen Bedingungen zum Opfer fallen. CAN hat eine globale Ausrichtung. Wir beschäftigen uns auch mit Umweltfragen. Gerne möchte ich Sie dazu einladen, unsere Website zu besuchen und sich unsere Arbeiten vor Ort anzusehen, wenn Sie Nepal einmal besuchen. www.canepal.org.uk

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