SCHNEE AM KILIMANDSCHARO

In rund fünfzehn Jahren wird es auf dem Kilimandscharo keinen Schnee mehr geben. Ein guter Grund also, die Gipfelbesteigung auf das Dach Afrikas in rund 6'000 Höhenmetern zu wagen.

Text und Fotos : Laurence Fleury

Die Verblüffung der ersten europäischen Erforscher im 19. Jahrhundert beim Anblick dieses schneebedeckten Gipfels, der sich aus dem Dschungel erhebt und praktisch auf der Linie des Äquators liegt, muss in der Tat gewaltig gewesen sein! Der höchste Berg Afrikas wird von den Massai als Gotteshaus verehrt und von ihnen auch „Berg des Wassers“ genannt, welcher ihre Felder und Weiden durch das Schmelzwasser seiner Gletscher ergrünen lässt. Der im Norden von Tansania gelegene Berg ist einer der grössten Vulkane der Welt und besteht aus drei Hauptgipfeln: dem Shira, welcher vor rund 800'000 Jahren aus einer Vulkaneruption entstanden ist, dem Mawenzi und dem Kibo, dem höchsten der drei, dessen Bergspitze Uhuru bis auf 5'895 Meter reicht. Man sagt, dass der Mount Kibo einst einen Elefantenfriedhof beherbergt haben soll, eine Legende, die von Hemingway in dessen Film „Schnee am Kilimandscharo“ nacherzählt wird. Die Erstbesteigung des Berges gelang dem deutschen Fotografen Hans Meyer im Jahr 1889. Erst 1945 sollte der Berg erneut bestiegen werden. Heute besteigen jährlich mehr als 30'000 Touristen seinen Gipfel.

Vom grünen Dschungel hinauf zum ewigen Schnee
Die Besteigung ist alles andere als eine banale Angelegenheit. Man bricht in Shorts gekleidet im tropischen Dschungel auf und beendet die Tour nur gerade fünf Tage später bei -20°C im ewigen Schnee. Verschiedene Routen führen auf den Gipfel, doch die am meist frequentierten sind die Marangu Route, auch „Coca Cola Route“ genannt und die Machame Route, auch als „Whisky Route“ bekannt, die steiler und daher weniger beliebt ist. Wir warten beim Ausgangspunkt zur Machame Route (1’800m) bei 25°C in der Sonne. Es folgt das Registrieren und das Wiegen der Rucksäcke (maximal 20kg pro Träger); fliegende Händler verkaufen derweil Regenschutz, den sie uns äusserst nachdrücklich empfehlen. Das kann ja heiter werden!
Der Aufbruch erfolgt im Verlauf des Nachmittags und führt durch den „Regenwald“, wo die ersten Regentropfen auf die Farne klatschen. Der Ton ist angegeben: schwül-heisse Atmosphäre, stickige Luft und schlammiger, schwerer Boden sind von nun an die ständigen Begleiter. Wir schlagen uns bis zum ersten Biwak durch: ein Zelt reiht sich neben das nächste, wir zählen fast hundert Stück! Ein wahrhaft kosmopolitisches Dorf, in welchem sich westliche Trekking-Begeisterte mit afrikanischen Trägern in einem mehrheitlich entspannten Ambiente begegnen.
Weiter oben erhebt sich aus dem Nebel ein einzigartiges Ökosystem mit seltsamen Pflanzen, die an Totems erinnern: riesige Kreuzkräuter mit lederartigem Blattwerk, welches Wasser speichert und ein Abwehrsystem gegen die Kälte gebildet hat. Eine endemische Flora, die Gefahr läuft, durch das Schmelzen der Gletscher auszusterben. Eine lange Kolonne an Trägern schlängelt sich entlang der Flanken des Kili. Eine langsame Prozession von Silhouetten, die sich mit Gepäcksstücken auf dem Kopf ihren Weg bis zum nächsten Camp bahnt. Die Luft wird mit der zunehmenden Höhe leichter, doch dafür werden die Beine immer schwerer und man spürt das Blut, welches in den Schläfen pulsiert. Hier droht zu kühnen Alpinisten die Gefahr der Höhenkrankheit. Es heisst also langsam voran zu gehen! Die Besteigung des Kilimandscharo verlangt einem technisch nichts ab, der Anstieg erfolgt regelmässig bis hinauf zum Gipfel, dennoch enden 60 Prozent der Besteigungsversuche, aufgrund mangelhafter Akklimatisation, im Misserfolg.
Zu Beginn des dritten Tages breiten sich oberhalb des Barranco Camps auf 3’950m endlich die ersten Schneefelder aus. „Andere Male sind wir bereits auf 3'000 Metern bis zu den Schenkeln im Schnee gestanden“, erinnert sich Elias, ein tansanischer Bergführer, der seit 1961 mehr als 300 Besteigungen aufweisen kann. Heute ist es ein Glücksfall, den Gipfel schneebedeckt anzutreffen. Doch dank den Niederschlägen in dieser Woche überzieht eine feine weisse Schicht aus Pulverschnee die Landschaft ab einer Höhe von 5'000 Metern.

Das Verschwinden der Gletscher bis im Jahr 2020
Um Mitternacht machen wir uns vom Barfu Camp (4’600m) aus, ausgerüstet mit starken Frontlampen, auf den Weg. Die Füsse treten langsam und vorsichtig auf der Moräne auf, die Muskeln sind steif, die Atmung schnell und kurz. Nach einem mühsamen Anstieg zum Stella Point auf 5'700 Metern liegt das Dach Afrikas endlich vor uns. Ein riesiges, verlassenes Hochplateau erstreckt sich auf sanftem Hang bis zum Uhuru Peak, dem Gipfel der Freiheit, der anlässlich der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1961 in diesen Namen umbenannt wurde. Der Kilimandscharo ist einer der grössten Vulkane der Welt und sein Gipfel ist « so weit wie die Welt, von immenser Grösse und in der Sonne in einem unglaublichen Weiss erstrahlend“, wie Hemingway schrieb. Eine fast surreale Landschaft erstreckt sich hier oben mit riesigen Eisblöcken von mehr als 50 Metern Höhe, einer dicken Eiskappe, die sich in Jahrtausenden aus dem Schnee gebildet hat und ein bisschen verloren wirkt wie Eisberge. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat der Gletscher 80% seiner Oberfläche eingebüsst und ist von 12 auf 2 Quadratkilometer geschrumpft.
Steigt man den Kraterrand des Kibo hinab, so ist das ein bisschen, als würde man in die Eingeweide der Erde eindringen. Die Sonne scheint heiss, der Berg ächzt und seine steilen Hänge fallen mehr als einhundert Meter in die Tiefe. Niemand weiss, wann der nächste Ausbruch kommen wird. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass der tansanische Gigant eines Tages zu neuem Leben erwachen wird.

Der Schnee am Kilimandscharo ist dem Tod geweiht, doch ob die Gletscherschmelze schneller voranschreiten wird, weiss niemand. Sollte ein ökologisch verantwortungsbewussteres Verhalten auf unserer Seite nicht ausreichen, dieses Phänomen aufzuhalten, so wird zumindest die Etymologie (Kilima: Berg, Njaro: Wasser auf Swahili) immerwährenden Schnee am Kilimandscharo gewährleisten.

Allgemeine Hinweise:
Akklimatisation auf dem Mount Méru
Um eine bessere Akklimatisation an die Höhe zu gewährleisten, wird ein Aufstieg zum Mount Méru (4’566m), dem Nachbarberg des Kilimandscharo, welcher im Arusha Nationalpark liegt, sehr empfohlen. Dabei handelt es sich um eine veritable viertägige Höhensafari im Herzen einer einzigartigen Fauna, die aus Pavianen, Warzenschweinen, Büffeln und Giraffen besteht, untermalt von einer Sinfonie aus Vogelgesang. Der Trekk beginnt im Herzen des Dschungels in Begleitung eines obligatorischen, bewaffneten Rangers, für den Fall eines Angriffs durch wilde Tiere. Der Gipfel ist über eine lange, schlanke Krete zugänglich und verläuft in einem Bogen rund um den Krater. Von hier oben geniesst man einen der schönsten Ausblicke auf den Kilimandscharo.

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