Hommage an Patrick Berhault
Die Schönheit der Bewegung

Ende April 2004 erschütterte ein Beben die Bergwelt: Der unverwüstliche Spitzenbergsteiger Patrick Berhault war, beim Versuch alle zweiundachtzig Viertausender der Alpen zu bezwingen, in den Tod gestürzt. Vier Jahre später geben uns zwei Biografien die Möglichkeit, uns dieses Ausnahmekletterers zu erinnern, dessen Stern so hell leuchtet wie nie zuvor.

Text und Fotos : Guillaume Vallot

Unsicher Halt suchend, die Hand tastend, und die Leere immens unter den Kletterschuhen, sage ich wiederholt zu mir „denk an Berhault!“. Diese kleine, rituelle Phrase ist zu meiner magischen Formel geworden. An Berhault zu denken, bedeutet, sich an die unendliche Anmut der Bewegungen dieses ruhigen Ausnahmekönners zu erinnern. Warum gab es so viele unter uns, die eine so enorme Leere verspürt haben, als Patrick am Täschhorn in den Tod gestürzt ist? Bei der Redaktion, für welche ich zu jener Zeit tätig war, gingen nach der Schreckensnachricht zahllose Beileidsbekundungen ein. Die meisten Nachrichten gingen anonym ein. Viele hatten Patrick kaum gekannt. Doch eine Rede, eine Geste oder ein Lächeln anlässlich einer Konferenz oder am Fusse einer Felswand hatten genügt, um diese Menschen zu berühren. Denn über seine Beweglichkeit und unbeschreibliche Ästhetik hinaus, die ihn jede seiner Klettertouren mit überschäumender Freude angehen liessen, begegnete Berhault seinen Mitmenschen mit einer Menschlichkeit und Energie, die ganz und gar erstaunlich waren.
Weit davon entfernt, ein Engel zu sein
In den über ihn jetzt erschienenen Werken, lernen wir seine Kindheit in Nizza kennen und verstehen alsbald, dass der Zugang zum Bergsport ihn davor bewahrt hat, zu einem kleinen Gauner zu werden. Wir erfahren mehr über die Intensität und die unerhörte Mannigfaltigkeit seines Trainings zusammen mit seinem blonden Kletterpartner Patrick Edlinger. Ungläubig und mit Staunen verfolgen wir die lange Liste seiner Höchstleistungen, welche, ganz still und leise, die Legende um einen der talentiertesten Kletterer aller Zeiten heranbildete. Wir lernen aber auch, dass nicht alles nur Glanz und Gloria war. Wie die Mehrheit der Klettercracks und Liebhaber grosser Freiräume plagten auch ihn Zweifel, die ihn in die Berge trieben. So erlaubten ihm seine berühmten langen Alpentraversen – denen er mit seinem Stil und durch ihren hohen Schwierigkeitsgrad seinen Stempel aufdrückte - vor den Launen der Liebe zu fliehen. Berhault war kein Engel. Doch er reifte zu einem der ganz grossen Bergführer heran und zwar im weitläufigsten Sinn des Wortes. Bevor er als Professor an die renommierte Ecole Nationale de Ski et d’Alpinisme von Chamonix berufen und damit zum Mitglied der Crème de la Crème der Bergführer wurde, von seinen Schülern stets liebevoll „Berobocop“ genannt, hatte er bereits auf alle nur erdenklich mögliche Art und Weise seine Leidenschaft für die Berge mit seinen Mitmenschen geteilt.
Tödliche Falle
Als technischer Berater für Hersteller von Bergsportprodukten und für Fachmagazine, als Organisator von Kursen für Sehbehinderte, als Theaterschauspieler und Filmschauspieler für Bergsportfilme, und als Tänzer an den Vertikalen, hatte er mit dem Ziel, seine Leidenschaft für die Bergwelt mit seinen Mitmenschen zu teilen, eine verhängnisvolle Partnerschaft mit den Medien geknüpft. Das sich Anpassen an die Bedingungen der Berge war stets die Grundlage für seine Sicherheit gewesen. So sagte er auch, dass er der tödlichen Gefahr des medialen Drucks entfliehe, weil er sie im Unterschied zu anderen „kommen liesse“. Gegen das Ende liess er sich immer mehr von einem Medienapparat umringen, der nicht zu unterschätzen war. Durch diese Vereinnahmung entstand eine unglaubliche Müdigkeit, die im Frühjahr 2004 akut wurde, mit verursacht durch den Slogan „82 Gipfel in 82 Tagen“, einem Rennen gegen die Zeit. Dieser Zeitplan hatte nichts mehr mit dem ursprünglichen Projekt zu tun, doch eine findige Tageszeitung hatte den Titel so erdacht und damit gab es kein Zurück mehr…in Kombination mit zu schlechten Wetterbedingungen sollte er letztlich zur tödlichen Falle werden.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen eine kleine Anekdote erzählen, die bei jenen die Runde gemacht hat, die ihn kennen gelernt haben. Es geht um einen dieser kurzen Momente im Leben, die auf einen Schlag unbedeutend scheinen. Im Jahr 2001, während den Filmaufnahmen zu „La Grande Cordée“, brachten ihn die Berge fast zum „ausrasten“, und so rief er mich an und verabredete sich mit mir in einer Kletterhalle, um sich abzureagieren. Zum ersten Mal kletterte er mehrere Meter in der Horizontalen entlang des grossen Daches auf einer grünen, mit Schwierigkeitsgrad 7c eingestuften, Route…ohne auch nur ein einziges Mal seine Füsse abzusetzen. Mehrere Seilschaften betrachteten begeistert und ehrfürchtig diesen phänomenalen Kraftakt. Die Route erfolgreich hinter sich gebracht, sage ich zu ihm: „Du bist so ein Blödmann!“, und er: „und warum bin ich blöd?“, ich: „weil Du nicht ein einziges Mal Deine Füsse benutzt hast!“…und er stirbt fast an einem Lachkrampf und erwidert: „Hej, ich hab mich mit all den Farben und dem Kopf immer nach unten total verlaufen. Mit den Händen dagegen ist es viel einfacher“. Echt Berhault dieser Kommentar! Für uns andere, wäre es selbstverständlich „viel einfacher“ gewesen, die Füsse abzusetzen. Doch nicht so bei ihm, für den grossen Künstler war es einfacher, ohne die Füsse zu arbeiten und sich darüber auch noch köstlich zu amüsieren…

Buchempfehlung:
- „Berhault“, von Michel Bricola und Dominique Potard, erschienen bei Guerins, Chamonix, 2008.
- „Patrick Berhault, un homme des cimes“, von Jean-Michel Asselin, erschienen bei Glénat, Grenoble, 2008.

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