Urnerboden
Dry Tooling Paradies

Die Gasthauswand, in der Nähe von Urnerboden in der Ostschweiz, besitzt alle Charakteristiken eines Klettergartens. Ihre idyllische Lage am Rande eines Flüsschens, ihre komfortable Ausstattung sowie ihre leicht zugängliche Lage machen sie zu einem begehrten Ausflugsort.

TEXT : Nicolas Zambetti
FOTOS : Patrice Schreyer

Dem Besucher bieten sich rund fünfzig Routen jedes Schwierigkeitsgrades. Doch hier stellt sich nicht die Frage nach Kletterschuhen oder Magnesium, sondern nach Steigeisen und Eisgeräten. Die Fachbezeichnung „Dry Tooling“ meint nämlich das Klettern auf Eis. Auch wenn es auf einigen Routen immer noch einige Sicherungspunkte auf festem Felsen gibt, so kommt man nicht umhin, sich auf dem Eis auch mittels Eisschrauben zu sichern. Auf anderen Routen muss man Klemmkeile setzen. Urnerboden mit seinem riesigen Eisklettergarten, wo sich Eis und Fels zu einer Einheit vermischen, ist eine riesige Spielwiese auf welcher man seine Klettertechnik verfeinern, Mentaltraining betreiben oder verschiedene Sicherungstechniken trainieren kann.

Ein noch nicht ausgeschöpftes Potential
Vor rund 20 Jahren, als diese neue Disziplin ins Leben gerufen wurde, begannen die Eiskletterer gefrorene Wasserfälle zu besteigen oder Eiszapfen, wobei sie sich jeweils auf reines Eis konzentrierten. Mit dem zu jener Zeit zur Verfügung stehenden Material stellte das Erklettern eines vertikalen Stalaktiten bereits eine grosse Anstrengung dar. Mit den Steigeisen kleine felsige Unebenheiten anzukratzen war den Nordwänden vorbehalten. Einige schöne, zugefrorene, steile Wasserfälle wurden zu Trainingszwecken durchstiegen, bevor man sich an grössere Besteigungen wagte. Um es kurz zu machen, Urnerboden war ein kleiner Ort mit relativ kurzen Routen und lediglich lokalem Bekanntheitsgrad. Erst die Entwicklung des „Dry Tooling“ zu dem, was es heute ist, machte den Ort zu einem Fixpunkt auf der Landkarte der Eiskletterer.

Der deutsche Bergführer Robert Jasper entfachte das Feuer mit der Route „Rock and ice“. Dieser vielsagende Name ist die Bezeichnung für ein von Felsen durchbrochenes Eisfeld von hervorragender Qualität. Dieser Typ von Besteigung widerspiegelt das, was man typischerweise „Alpinismus“ nennt, wenngleich in diesem speziellen Fall nur eine einzige Seillänge zurückgelegt werden muss. Derselbe Kletterer eröffnete noch eine weitere, äusserst ästhetische Route von höchstem Schwierigkeitsgrad und taufte sie auf den Namen „Gläsernes Herz“. Diese Routen zu meistern, ist ein Traum vieler Eiskletterer, doch die Umsetzung bleibt vielen unter ihnen vorenthalten und im Falle „Gläsernes Herz“ komplett verwehrt. Der einzige Grund, weshalb sie nicht stark frequentiert sind, ist das nicht Vorhandensein von Fixausrüstungen. Hier muss man sein Material perfekt im Griff haben, will man die Herausforderung meistern. Das Mixed-Klettern erfordert ausserdem, dass man alle Techniken des alpinen Kletterns im Schlaf beherrscht und über Nerven aus Drahtseil verfügt. Diese hohe Kunst lässt keinen Raum offen für Fehler.

Man muss mit der Zeit gehen
Zur Linken des „Gläsernen Herzens“, hat der Zürcher Urs Odermatt die Route „Der Graf“ eröffnet, eine einzigartige Linie von hohem Schwierigkeitsgrad, ähnlich jenem seiner Nachbarin. Der einzige Unterschied ist, dass diese Route vollständig ausgerüstet ist. Die logische Konsequenz daraus: es gelangen bereits mehrere erfolgreiche Besteigungen der Route.
Glücklicherweise stehen dem Kletteranfänger aber noch eine Reihe weitaus leichter zugängliche Routen offen. Hier sind Bergsteiger, Kletterer, Eiskletterer, Wanderer oder auch „Via Ferratisten“ gleichermassen willkommen. Die Leute, die an den beliebten Routen Freude haben, können ihren Sport hier immer optimal gesichert ausüben.

Einige Eindrücke…
Unser kleines « Westschweizer » Team hat den Ausflug gewagt. Während eines ganzen Wochenendes konnten wir einige Routen kennen lernen. Die Trockenheit in diesem Herbst hat es uns verunmöglicht, uns den absoluten „Musts“ mit ihren hohen Schwierigkeitsgraden zu stellen. Doch die von uns erkletterten Routen haben in uns Glücksgefühle hervorgerufen, die wir sonst nur an schwierigsten Wänden erlebt haben, wo ein Sturz fatal gewesen wäre. Einige sichere Punkte in einer Route lassen die zum Teil gefährlichen Aspekte im Hochgebirge in weite Ferne rücken. Es ist angenehm, in vollkommener Sicherheit an seiner Technik arbeiten zu können als bei jedem Schritt den Tod zu riskieren. Aus diesem Grund ist es zu hoffen, dass die Routen in dem Zustand bleiben, in welchem sie, was die Ausrüstung betrifft, jetzt sind. Es gibt genügend Routen, die frei von jeder Ausrüstung sind und das ist auch gut so. Es braucht auch Raum für all jene, die noch den wahren Alpinismus ausüben wollen.

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